Amtsgeheimnis – altmodisches Ritual zur Vertuschung?

Kürzlich wurde ein Nationalrat von einem Zürcher Bezirksgericht wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses verurteilt. Das Urteil wird weitergezogen und ist somit noch nicht rechtskräftig. Wieso aber hat in der heutigen Zeit das Amtsgeheimnis überhaupt noch Bedeutung? Ist es nicht zeitgemäss und auch der Transparenz geschuldet, dass die Öffentlichkeit alle Informationen sofort und jederzeit besitzt?

Bruno Sauter

16. August 2016

Unsere Demokratie lebt von Mitsprache, von Engagement im Milizsystem, von Transparenz und Rechtsstaatlichkeit. Abläufe und Geschäftsprozesse sind auf Stufe Gemeinde, Kanton und Bund sauber formuliert und für alle nachvollziehbar geregelt. Informationen bilden die rechtsstaatliche Grundlage für Entscheide und – wenn Befangenheit gegeben sein könnte – auch für den Ausstand von Mitgliedern in Behörden. Das Vertrauen in unseren Rechtsstaat basiert somit auf Grundlagen wie Informationen, Regulierung, Transparenz und Vertrauen. Wenn nun also die Informationen Grundlage für das Funktionieren unseres Rechtsstaats sind, so müssen diese inhaltlich fundiert und zeitgerecht verfügbar sein sowie dem Adressaten angepasst formuliert werden. Doch nur zu schnell werden Behauptungen als Fakten und Vermutungen als Tatsachen ausgegeben.

Unsere Prozesse in Verwaltung und Politik bedingen einen intensiven Austausch von Daten mit Parteien, Akteuren und Betroffenen. Die Diskussionen im Vorfeld von Entscheidungen sind manchmal hart, regelmässig zeitraubend und immer häufiger auch von medialer Begleitung beeinflusst. Und mit Amtsgeheimnisverletzungen, dem gezielten Herausgeben von (Teil)-Informationen, kann Stimmung gemacht und die politische Diskussion gelenkt werden.

Unsere Demokratie erlaubt es allen Gruppierungen, sich einzubringen, und unsere Kultur ist geprägt vom Gedanken der Lösungsfindung mit hoher Akzeptanz von Kompromissen und Zugeständnissen – in alle Richtungen. So erzielen wir optimale Lösungen für alle und nicht maximale Zielerreichung für nur wenige. Wenn nun aber im Rahmen dieser demokratischen Prozesse einzelne Informationen, angereichert mit Behauptungen oder Vermutungen, an die Medien gelangen und diese damit Stimmung in eine bestimmte Richtung machen, dann wird der Dialog zwischen den Akteuren gestört.

Auch stellen Informationen allein noch kein Wissen dar, sondern sie müssen zwingend in den Kontext von Zeit und Umständen gestellt werden. Wenn interne Fakten aus Sitzungen in den Medien landen und der Kontext fehlt, führen Interpretationen gerne zu Fehlschlüssen. Beispielsweise können ohne das Wissen, welche Zahlen in welcher Zeitperiode und vor welchem Hintergrund in eine Tabelle zu Lohndumping eingeflossen sind, keine Schlüsse gezogen werden. Für die zuständige Kommission ist entscheidend, ob bei der Anzahl der Verstösse auch reine Verdachtsmeldungen mitgezählt oder bei welcher Personengruppe Lohnunterbietungen vermutet wurden, um nur einige der Einflussfaktoren zu nennen. Ein Informationsleck hebelt den Mechanismus aus, nach dem die Kommissionsmitglieder fundierte Entscheide auf einer klaren Grundlage fällen. Die mediale Inszenierung wandelt Halbinformationen in vermeintliches Wissen um, und die öffentliche Wahrnehmung beginnt, die Kommissionsmitglieder kollektiv zu steuern. Ziehen dann auch Stimmbürgerinnen und Stimmbürger das Halbwissen als Entscheidungsgrundlage heran, gerät das Fundament unserer Demokratie ins Wanken.

Das Amtsgeheimnis ist eine Tradition, die es zu schützen gilt. Nur wenn auch künftig sauber aufgrund von Fakten und Tatsachen, im Wissen um Umstände, Zeit und Situation die besten Lösungen gefunden werden können, wird unsere direkte Demokratie Grundlage bleiben für Mitsprache und Rechtstaatlichkeit. Dies wiederum bildet die Basis für unseren Wohlstand, der garantiert wird durch Wettbewerb (die beste Lösung gewinnt), das Einbinden aller relevanten Kräfte (man will optimale Lösungen), Rechtstaatlichkeit (welche auf Fakten basiert) und ein grosses Engagement im Milizsystem (jeder kann sich zum Wohl der Gesellschaft engagieren).