Blutet die Schweiz wirtschaftlich aus?

Die Lohnabrechnung aus Warschau, die Marktanalyse aus Dublin und das Arbeitszeugnis aus Krakau. Zunehmend werden zentrale Dienstleistungen ins kostengünstigere Ausland verlagert. Ein kurzfristiger Hype oder ein langfristiger Trend? Uwe R. Brauchle ist seit vielen Jahren mitten im Geschehen als selbstständiger Treuhänder, Buchautor und Dozent.

Uwe R. Brauchle

2. November 2016

Herr Brauchle, die teuren Kostenblöcke der Administration werden in Billiglohnländer ausgelagert, dadurch werden Kosten reduziert und die Gewinne optimiert. Als Controller müssten Sie diese Entwicklung begrüssen?

Grundsätzlich begrüsse ich als Controller Kostensenkungen und Gewinnmaximierungen, das ist Shareholder Value. Wir vergessen aber dabei die viel wesentlicheren drei unternehmerischen Tugenden:

  • Gewinne erzielen
  • Langfristige unternehmerische und
  • soziale Verantwortung – auf Neudeutsch auch Stakeholder Value genannt.

Der Fehler liegt aus meiner Sicht in der isolierten Betrachtung: Eine Kostenstelle, sagen wir die IT, wird analysiert und man stellt fest: Wenn wir diese Kostenstelle ins Ausland verlagern, sparen wir Geld – also weg mit ihr. Und man vergisst dabei nicht nur die zweite und dritte unternehmerische Tugend sondern auch die Schnittstellen zu den anderen Bereichen des Unternehmens. Das kann ganz schön ins Auge gehen, denn die nicht direkt und indirekt sichtbaren Kosten summieren sich, die nicht prozessuale Sicht rächt sich übers Ganze gesehen.

Es wird in der Presse von einer Auslagerungswelle gesprochen. Ist das ein publizistisches Strohfeuer oder steckt mehr dahinter?

Da steckt leider mehr dahinter, Offshoring und Outsourcing boomt. Schauen Sie: Eine Mitarbeiterin in einem Land im Osten verdient vielleicht 500.- Euro pro Monat. Unter dem Aspekt der Kosten kann sie x-fach Fehler machen und es schlägt nicht gross zu Buche. Da liegt sogar noch eine Luftbrücke von der Schweiz in dieses Land drin zur Kontrolle und Fehlerbehebung.

Wo sehen Sie Probleme, wenn Unternehmen Teile ihres Rechnungswesens wie Lohnbuchhaltungen oder Zahlungsverkehr nach Polen verlagern?

Neben der Qualität sehe ich vor allem Probleme bei der Datensicherheit. Wenn sich heute gar ausländische Staaten Daten kaufen, ist Vorsicht im Umgang mit hochsensitiven Daten am Platz und die Sicherheit nirgendwo mehr gewährleistet. Stellen Sie sich vor wie Sie angreifbar werden, wenn die interne Kostenstruktur Ihres Unternehmens bekannt wird!

Ich habe kürzlich gehört, dass sich die Auslagerung gerade im Bereich von IT-Abteilungen als problematisch erwiesen hat und eine Umkehr stattfinde. Wissen Sie dazu Genaueres?

Teilrückzüge finden tatsächlich wieder statt, die Beispiele aus dem IT-Bereich kenne ich. Es ist neben dem Qualitätsrisiko eine immense Gefahr, gerade bei sogenannten Joint Ventures, dass Know How illegal abfliesst.

Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es fragwürdig: Die Wertschöpfung wandert zunehmend aus der Schweiz ab. Blutet die Schweiz wirtschaftlich aus?

Jede Veränderung bietet Chancen. Wenn sich jetzt Resignation breit macht, haben wir die Chancen vertan. Die einzigen Schweizer Rohstoffe sind Geist, Disziplin und Verantwortungsbewusstsein. Doch wir stellen beim Blick über die Landesgrenzen unschwer fest, dass wir nicht mehr die einzigen sind, aber dass die «da draussen» ungleich motivierter sind als wir. Wir dürfen also auf keinen Fall in die Konsumhaltung verfallen, noch dürfen wir uns nur für zu Höherem berufen fühlen und uns auf die hochqualifizierten Tätigkeiten (z.B. Forschung und Entwicklung) konzentrieren.  Wenn ich allerdings am Samstagmorgen zum Unterricht gehe und die tausenden jungen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund sehe, die sich freiwillig und in ihrer Freizeit weiterbilden, dann schöpfe ich Hoffnung. Das ist eine grandiose Leistung. Es ist an der Zeit, das kurzfristige Managementdenken wieder durch langfristiges Unternehmerdenken zu ersetzen, dass alle drei Tugenden miteinschliesst – auch die soziale, gesellschaftliche Verantwortung!

Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es fragwürdig: Die Wertschöpfung wandert zunehmend aus der Schweiz ab. Blutet die Schweiz wirtschaftlich aus?

Jede Veränderung bietet Chancen. Wenn sich jetzt Resignation breit macht, haben wir die Chancen vertan. Die einzigen Schweizer Rohstoffe sind Geist, Disziplin und Verantwortungsbewusstsein. Doch wir stellen beim Blick über die Landesgrenzen unschwer fest, dass wir nicht mehr die einzigen sind, aber dass die «da draussen» ungleich motivierter sind als wir. Wir dürfen also auf keinen Fall in die Konsumhaltung verfallen, noch dürfen wir uns nur für zu Höherem berufen fühlen und uns auf die hochqualifizierten Tätigkeiten (z.B. Forschung und Entwicklung) konzentrieren.  Wenn ich allerdings am Samstagmorgen zum Unterricht gehe und die tausenden jungen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund sehe, die sich freiwillig und in ihrer Freizeit weiterbilden, dann schöpfe ich Hoffnung. Das ist eine grandiose Leistung. Es ist an der Zeit, das kurzfristige Managementdenken wieder durch langfristiges Unternehmerdenken zu ersetzen, dass alle drei Tugenden miteinschliesst – auch die soziale, gesellschaftliche Verantwortung!

Interview mit Uwe R. Brauchle, Autor, dipl. Controller SGBS, Organisator und Ausbilder mit eidg. Fachausweis, Selbstständiger Unternehmer im Treuhand- und Beratungsbereich, seit vielen Jahren als Dozent und Berater in verschiedenen privaten Bildungsinstitutionen, Grossunternehmen und Verbänden tätig.
Die Fragen stellte Peter Wehrli, ehemaliger Schulleiter der Schule für Rechnungswesen und Controlling.