EGO-Drive als Erfolgsfaktor – kalter Kaffee oder immer noch aktuell?

Unzählige Studien haben sich damit befasst, welche Kompetenzen erfolgreiche Berater ausmachen. Während heute empathische Fähigkeiten im Vordergrund stehen, sprachen zwei US-amerikanische Forscher schon in den 1960er-Jahren auch von «EGO-Drive». Hatten sie recht?

Renato Ramella

16. August 2018

Fragen Sie heute Versicherungsberater nach ihren wichtigsten Kompetenzen. Nebst Fachwissen werden sie vor allem Merkmale nennen wie «zuhören können», «Empathie», «sich einfühlen», «den Kunden wirklich verstehen», «am Kunden aufrichtig interessiert sein» usw. Da lässt sich kaum widersprechen, das ist mit Sicherheit alles richtig. Gleichzeitig erscheint dieses Bild unvollständig. Vielleicht ist es zu stark von Daniel Golemans Bestseller der 1990er-Jahre, «Emotional Intelligence», beeinflusst. Goleman führte aus, wie wichtig es ist, sich sowohl seiner eigenen Emotionen bewusst zu werden als auch die Emotionen des Gesprächspartners wahrzunehmen. Gleichzeitig zeigte er auf, dass man sich nicht einfach dadurch leiten lassen darf, sondern eben diese Emotionen reflektieren und deren Ursachen verstehen muss, um daraus einen Nutzen zu ziehen.

Reicht emotionale Intelligenz?

Wenn man das Gespräch mit Versicherungsberaterinnen oder -beratern vertieft, erhält man ein vollständigeres Bild. Es braucht eben doch mehr. Sonst könnte man den Kunden beraten und sich beim Abschluss vornehm zurückhalten, wenn er unentschlossen erscheint. Oder man könnte in diesem Moment den Wert der eigenen Beratung anzweifeln. Vielleicht hat man auch die in den Medien gelegentlich als anrüchig präsentierten Provisionen im Hinterkopf. Man will ja das Beste für die Kundin, nicht für sich selbst. Hier zeigt sich, dass es eben zusätzliche Eigenschaften braucht, wie z. B. Erfolgswillen, den Glauben an sich und den Wert der eigenen Beratung, die Lust am Verkauf, ja auch das Verlangen, Kundinnen und Kunden zu überzeugen und das aufgebaute Vertrauensverhältnis in eine längerfristige Beziehung umzuwandeln.

Empathie und EGO-Drive

All das hatten die beiden Forscher David Mayer und Herbert Greenberg im Kopf, als sie in den 1960er-Jahren von «Empathie und EGO-Drive» als Gesamtkonzept sprachen. Dabei darf EGO nicht mit egoistisch gleichgesetzt werden. Es geht um den inneren Antrieb, den man als Beraterin, als Verkäufer spüren muss, den berühmten letzten Schritt eben auch noch zu gehen. Die beiden Eigenschaften lassen sich auch sehr gut als zwei Dimensionen auf einem Feld mit vier Quadranten darstellen. Oben links steht v. a. Empathie, unten rechts v. a. EGO-Drive. Wo stehen Sie? Auch etwas zu weit oben links, mit mehr Empathie als EGO-Drive? Keine Sorge, Sie sind in bester Gesellschaft. Machen Sie doch einen Schritt in den Quadranten oben rechts, wo die beiden Eigenschaften gleichmässig repräsentiert sind.

Ein konkretes Beispiel: Wir möchten den nächsten Kunden nicht um jeden Preis überreden. Aber wir möchten nach dem Zuhören auch eine Lösung präsentieren, die zum Abschluss führen soll. Wenn der Kunde Bedenkzeit braucht, soll er sie bekommen. Wir bleiben allerdings verbindlich und erkundigen uns schon am nächsten Tag nach dem Stand der Reflexionen. Das ist nicht aufdringlich, sondern eine Bestätigung für den Kunden, dass wir von unserem Vorschlag überzeugt sind.