Stakeholder-Management, bitte!

Spätestens seit mit dem St. Galler Management-Modell die Vielfalt der Abhängigkeiten und Einflüsse auf die Wirtschaft den Weg in die Lehrbücher gefunden hat, könnte man meinen, dass sich die Geschäftsleitungen grosser Unternehmen ihrer Verantwortungen bewusst sind. Das Vertrauen der Konsumenten, die Verpflichtungen gegenüber Lieferanten, die Verantwortung gegenüber der Umwelt und die dynamische Einflussnahme durch den Staat sind Herausforderungen in der Führung. Der Dieselskandal und der Umgang mit der Krise offenbaren einen tiefen Graben zwischen Lehre und Praxis.

Bruno Sauter

7. Juni 2019

Anreize einseitig interpretiert

Die ökonomischen Anreize sowohl für das Management als auch für die Aktionäre wurden offensichtlich in der Automobilindustrie dergestalt formuliert, dass die technischen Möglichkeiten ausgereizt wurden. Die Komplexität der Wirkungen in die Umweltsphären eines Unternehmens oder einer ganzen Branche wurde jedoch gänzlich ausgeblendet. Keine Firma bildet den Schaden an der Gesundheit der Menschen und der Natur in ihrem Bonusmodell ab. Ebenso ist der Reputationsschaden keine Grösse im Kompensationsplan, und die neu erfolgende Regulierung sowie deren Auswirkungen werden keinerlei Wirkungsmessung auf Managementstufe unterzogen. Der kurzfristige ökonomische Gewinn war Anreiz genug, dass nun Strafen in Milliardenhöhe bezahlt werden müssen und namhafte Manager inhaftiert wurden. Ein gar hoher Preis.

Die wirtschaftlichen Abhängigkeiten werden grösser

Der entstandene Schaden aufgrund dieser menschlichen und führungsmässigen Fehlleistung trifft nun aber nicht bloss die Firmen selbst. Auch die Lieferanten und Dienstleister, welche in den Wertschöpfungsprozess involviert sind, tragen Schaden davon. Die Investitionen in eine Technologie – hier am Beispiel Dieselmotoren – werden aufgrund der dramatischen Absatzrückgänge nicht mehr amortisiert werden können. Und da der Staat nun seinen Einfluss selektiv regulierend geltend macht (Fahrverbote in Städten für gewisse Motoren), werden wahrscheinlich auch künftige Innovationen nicht mehr ergebnisoffen angegangen. Forschung und Lehre werden sich aufgrund der politischen und gesellschaftlichen Realitäten Technologien selektiv zuwenden, und die gesellschaftliche Ächtung von Dieselmotoren wird das Konsumverhalten mit ungeahnter Wirkung beeinflussen.

Die Lehre wäre vorhanden

Das St. Galler Management-Modell zeigt mit seinen Umweltsphären und Erklärungen zu Abhängigkeiten und Wechselwirkungen bildhaft die Komplexität der heutigen Wirtschaft auf. Die Führungsinstrumente für Verwaltungsrat und Geschäftsleitungen sind heute sowohl bekannt als auch institutionalisiert. Die Controllingkonzepte sind im gesamten Kreislauf eingeführt, Resultate und Daten werden rapportiert, und die relevanten Stellschrauben für eine gezielte Einflussnahme sind erprobt. Umso unverständlicher ist es deshalb, wenn einzig aufgrund monetärer Anreize die durchaus legitimen Interessen einer einzigen Anspruchsgruppe – der Aktionäre – befriedigt werden. Stakeholder-Management befriedigt alle Anspruchsgruppen, von den Mitarbeitenden über die Zulieferer bis hin zur Gesellschaft, und sichert damit den nachhaltigen Unternehmenserfolg. Etwas Nachhilfeunterricht für gewisse Manager, womöglich als Auflage ihrer Bonusprogramme, würde hier gute Dienste leisten.