Wo bist du, Mensch?

Der «Mensch im Mittelpunkt» auf der Homepage - und ausgerecht der «Empfangsschalter» der Personalabteilung (HR) versteckt sich zusehends hinter einem unpersönlichen, datenfressenden Portal. Was unter dem Deckmantel der Prozessautomatisierung geschieht, leistet einer Digitalisierung Vorschub, wie man sie lieber nicht möchte. Wie viel Mensch darf/soll es im Rekrutierungsprozess noch sein?

Christoph Hilber

30. Mai 2016

Was viele Unternehmen schon längst mit ihren Kunden tun, nämlich die administrative Datenerfassung an die Kunden auszulagern, damit Kosten zu sparen und zugegebenermassen auch Convenience zu generieren, machen die Personalabteilungen (HR) inzwischen auch. Der Eintrittspreis, um sich überhaupt für eine Stelle bewerben zu dürfen, wird immer höher und das Prozedere immer mühsamer. Das Tüpfli auf dem i sind dann die automatischen, soziographischen CV-Analyser-Programme, die bestimmen, ob ein Kandidat in die engere Auswahl kommt oder nicht. Immerhin bemühen sich einige Portale, den Menschen des HR im Inserat als M2M-Interface (Mensch-zu-Mensch) aufzuführen – vielleicht sogar mit Bild. Doch wenn alle Personen nur über eine einzige, zentrale Telefonnummer erreichbar sind und die wenigen Mails, die als Lebenszeichen der Recruiter in der Mailbox landen, von einer noreply@-E-Mail-Adresse kommen, dann würgt das den guten Willen gleich wieder ab. Slogans wie «Unsere Mitarbeiter machen den Unterschied» oder ähnlich verkommen beim Erstkontakt schon zum Hohn auf den menschlichen Intellekt. Und der Trend geht meines Erachtens in die falsche Richtung.

Optionen?

Gibt es Optionen, um das eine (Maschine) zu tun, ohne das andere (Mensch) zu lassen? Hier einige Möglichkeiten, die Euphorie und positive Energie eines Interessenten bzw. einer Interessentin nicht schon mit dem ersten Bestätigungsmail abzuwürgen.

Persönliche E-Mails

Wenn der Interessent schon alle Angaben selbst erfasst, kann man diese auch gleich verwenden. Und der Recruiter als Absender (inkl. E-Mail-Adresse) bestätigt, dass man im HR und nicht im Warenkorb gelandet ist.

M!2M!

Form und Inhalt von Lebensläufen sind geprägt von unzähligen, gut gemeinten Empfehlungen – jede anders und für 50 Prozent der Leser falsch. Auch firmenspezifische Wortwendungen (Firmendialekte) machen CVs nicht einfacher lesbar. Die Analysesoftware, die Schlüsselwörter zählt und soziodemographische Korrelationen (er-)findet, kann keinen Recruiter ersetzen, der weiss, was die Vakanz ausmacht und wonach man wirklich sucht. Genau hier setzt der Mensch ein: connecting personalities. Mensch-zu-Maschine ist durch die Version Mensch!-zu-Mensch! zu ersetzen, die menschliche Intelligenz. Auch ein Mensch hat einen Mismatch in 30 Sekunden identifiziert.

Häufige und ehrliche Kommunikation

Wenn die internen Prozesse auch ungeahnte Durchlaufzeiten verschlingen mögen, wird nach vier Wochen ohne Info das fehlende Interesse auch dem spannenden Bewerber bewusst. Wenn Bewerber für voll genommen werden und grundsätzlich willkommen sind, darf man ihnen auch mitteilen, dass man aktuell mit einer Shortlist arbeitet, auf der er/sie (vorerst) nicht vorkommt.

Nette Absage

Auch Mismatch-Kandidaten kann man mit einem netten Mail und einem Dankeschön absagen. Kandidierende, die im persönlichen Interview waren, dürften ein persönliches Mail oder sogar einen Telefonanruf erwarten. Nach der Absage ist vor der Bewerbung. Viele gute Chefs würden heute von der eigenen Firma nicht einmal mehr zum Erstinterview eingeladen, würden sie im heutigen Stil evaluiert. HR ist Gralshüter von Kultur und Menschlichkeit in einem Unternehmen. Wenn beim Erstkontakt dieser Gral hochgehalten wird, dann bedeutet dies: Herzlich willkommen – Aufgabe erfüllt.