Aus Industrie 4.0 wird Führung 4.0
Klar ist, dass die Industrie 4.0 die Arbeit in der industriellen Produktion und möglicherweise auch die nachfolgende Logistik und viele weitere Ebenen der Wertschöpfung beeinflussen wird. Computer optimieren die Fertigung, reduzieren den Einsatz und mindern den Aufwand. Aber das ist nur eine Seite der neuen Entwicklungen. Eine andere Seite ist die der Führungsebene, die sich ebenfalls auf neue Prozesse und Abläufe wird einstellen müssen. Hier reden wir vom Leadership 4.0.
Die neue Arbeit erfordert eben nicht nur den Einsatz moderner und leistungsstarker Computer, Roboter, Software und der entsprechenden Fachleute, sie erfordert vor allem eine neue Art und Weise der Leitung, die sich klar vom statischen Modell von Bedarf, Planung, Anweisung, Aufgabenerledigung und Kontrolle verabschiedet. Längst haben digitalisierte Prozesse viele solcher Abläufe bis in die Tiefe hinein verändert und werden das auch weiterhin tun. Das, was sich in der Arbeitswelt an den Arbeitsplätzen der Beschäftigten bereits im rasanten Tempo verändert, ist in mancher Führungsetage noch nicht durchschlagend angekommen.
Mit riesigen Speicherkapazitäten, vernetzten Prozessen und einer entsprechend zusammengeführten Aufgabenwelt haben sich Unternehmen aus der produzierenden Industrie, dem Detailhandel, dem Grosshandel, aus der Medizinbranche, im Banking oder in der Verwaltung in einem Masse verändert, wie wir uns das vor einer Generation kaum hätten vorstellen können. Nur auf der Leitungsebene ähnelt vieles noch den Prozessen, Denk- und Arbeitsweisen, wie sie unsere Eltern schon kannten. Industrie 4.0 und der digitale Wandel werden sich aber nur dann durchsetzen können, wenn das auch in den Führungsetagen gelingt.
Verantwortung und Kompetenzen teilen
Führungskräfte sind längst nicht mehr nur verantwortlich für die Entwicklung und Ausgestaltung von Szenarien und Strategien für die Unternehmen, Produkte, Dienstleistungen und die Menschen, die diese Leistungen erbringen. Wer sich als Führungskraft den aktuellen Entwicklungen stellt, der muss sich gemeinsam mit seinen Mitarbeitenden mit den neuen Prozessen auseinandersetzen. Hier geht es nicht mehr um eine Mitarbeiterführung von oben nach unten, sondern um den gleichberechtigten und gleichverpflichteten Austausch von Wissen, Können, Erfahrung und Verantwortung. Das erfordert, dass die Mitarbeitenden eng in die Prozesse der Weiterentwicklung einbezogen werden und genau wissen, was in der aktuellen Lage und in der Zukunft wichtig sein wird. Die leitende Person ist längst nicht mehr die Anweisende und Kontrollierende, sondern vielmehr die Vermittlerin zwischen Unternehmenszielen und Entwicklungsmöglichkeiten der Belegschaft. Das erfordert, dass jeder Mitarbeitende an seinem Platz weiss, welche Verantwortung er trägt und welcher Prozesse er sich dabei bedienen kann. Wer bislang meinte, er sei nur ein kleines Rädchen im Getriebe des Unternehmens, der muss jetzt lernen, dass er ein gleichberechtigter und unverzichtbarer Teil eines Gesamtprozesses ist, bei dem es auf jeden gleichermassen ankommt. Diese Einsicht zu vermitteln und in die neue Arbeitswelt einzubringen, ist die wahre Verantwortung der Führungsebene.
Weiterentwicklung von innen heraus
Das bedeutet auch, dass nicht mehr nur in der Chefetage bestimmt wird, wie Strategien auszusehen haben und welche konkreten Schritte in der Umsetzung solcher Strategien wichtig sind. Je besser es gelingt, die Mitarbeitenden verantwortlich in den Prozess der Strategieentwicklung und -umsetzung einzubinden, desto erfolgreicher können sich Unternehmen differenzieren und damit besser in ihrem Marktumfeld etablieren. Das aber kann nicht nur allein Sache der Führungskräfte sein.
Leadership 4.0 beschäftigt sich deshalb längst nicht mehr nur mit Leitung, Anweisung und Kontrolle und unternehmensspezifischen Entwicklungsstrategien. Leadership 4.0 bedeutet vielmehr die Aktivierung aller Mitarbeiterkompetenzen und fördert Visionen, Strategien und Szenarien, die sich in ihrer Komplexität den ständig wandelnden Anforderungen anpassen. Deshalb ermöglichen moderne Führungskräfte ihren Mitarbeitenden die zukunftsorientierte Fort- und Weiterbildung im digitalen Umfeld und verlagern die Verantwortung für das Unternehmen aus der Chefetage heraus in alle Bereiche des Unternehmens, bis hin zum einzelnen Mitarbeitenden. Erst dann, wenn jeder Beschäftigte das Unternehmen als «sein Unternehmen» verstanden hat und entsprechend Verantwortung in seinem Arbeitsfeld übernimmt, ist der Wandel von der reinen Erfüllung von Aufgaben und Anweisungen hin zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung von Kompetenz und Verantwortung geschafft. Und die Entwicklung geht weiter.