Wer oder was sind Careleaver? Wortwörtlich übersetzt bedeutet der Begriff «Fürsorge-Verlasser». Gemeint sind damit junge Erwachsene, die mit der Volljährigkeit aus dem Heim oder der Pflegefamilie austreten und für sich selbst sorgen müssen. Für Nachbetreuungsangebote gibt es weder eine Finanzierung noch gesicherte Kostengutsprachen.
Jennys Interesse am Thema basiert auf ihren eigenen Erfahrungen, da sie Tür an Tür mit Careleavern gelebt und sich dadurch viele Interessante Gespräche über das Leben und seine Herausforderungen ergeben haben. Ihr war damals nicht klar, wie sehr auf sich allein gestellt diese jungen Menschen waren.
Ihre Recherchen ergaben, dass die «Verantwortung für diese Randgruppe durch unseren föderalistischen Staat bei den Kantonen und den Gemeinden liegt, weil es kein nationales Gesetz für Jugendhilfe gibt. Deshalb fehlt es schweizweit an Nachbetreuungsangeboten. Ein grosser Wunsch ist es, den Status ‹Careleaver› offiziell anzuerkennen, damit Dienstleistungsangebote durch die öffentliche Hand finanziert und gesichert werden.»
Gemäss einer von ihr durchgeführten Umfrage fühlen sich 65% der Careleaver mit dem Austritt überfordert, knapp 50% gingen in ihre Ursprungsfamilien zurück. Die Überforderung könnte zu Arbeitslosigkeit, Verschuldung, Obdachlosigkeit und Suchtproblemen führen. Nur 39% gaben an, aus eigener Kraft einen Weg gefunden zu haben. Es besteht folglich Handlungsbedarf.
Es gibt bereits kantonale Nachbetreuungsangebote, im Kanton Aargau jedoch nur ein einziges. Das ist im Verhältnis zur Einwohnerzahl wenig. Ziel von Jennys Diplomarbeit war es, die Bedürfnisse der Careleaver aufzuzeigen und darauf aufbauend einen Lösungsansatz zu prüfen: die Gründung einer Non-Profit-Organisation für den Kanton Aargau.
Auf politischer Ebene ist die Problematik der Careleaver erkannt. Das Kompetenzzentrum Leaving Care in Zürich setzt sich für die Chancengleichheit und die Finanzierung von Nachbetreuungsangeboten auf nationaler Ebene ein. Das Angebot Never walk alone im Kanton Aargau befindet sich seit 2020 in der Projektphase, die bis 2023 dauert.
Aufgrund des Mangels an Angeboten hat Jenny Kramer die Gründung einer Non-Profit-Organisation geprüft. Sie kam zum Ergebnis, dass die Gründung zwar relativ einfach wäre, aber die Mittelbeschaffung eine ständige Herausforderung bliebe. Auch müsste eine sozialpädagogische Betreuung der Careleaver gewährleistet sein. Das Risiko, eine NPO schon bald wieder aufgeben zu müssen und damit die jungen Erwachsenen erneut zu enttäuschen, ist ihr zu hoch. Deswegen schlägt sie vor, bestehende Angebote zu prüfen und eventuell Pflegefamilien und Jugendheime breiter finanziell zu unterstützen. Auch Investitionen in die berufliche Integration könnten den Careleavern helfen, besser in der Arbeitswelt Fuss zu fassen und sich zumindest finanziell unabhängig zu machen. Auf jeden Fall brauchen die Careleaver Gehör in der Gesellschaft.
Das Team der AKAD freut sich, dass es Jenny Kramer auf ihrem Weg zur dipl. Betriebswirtschafterin begleiten und unterstützen durfte und dass sie ihr Diplomarbeitsthema mit unserer Leserschaft teilt. Das bislang wenig bekannte Thema verdient Aufmerksamkeit.