Alles Chefsache?

In unserer hochkomplexen Wirtschaftswelt sind klare Zuständigkeiten eine Selbstverständlichkeit. Jede Position und jede Funktion hat eine Aufgabe, die zugehörigen Kompetenzen und Verantwortung. Dies alles wird in Stellenbeschrieben festgehalten. Nur sind statische Beschriebe für dynamische und von gesellschaftlichen Veränderungen betroffene Unternehmen nicht sonderlich geeignet. So kommt es, dass nicht nur den Medien gegenüber, sondern auch real häufig der CEO für alles «Neue» die Verantwortung übernehmen muss.

Bruno Sauter

2. Mai 2016

Heute sollen sich Chefs um alles kümmern: Unternehmenskultur, Genderfragestellungen, Integration von IV-Bezügern und Flüchtlingen, Umweltschutz, Nachhaltigkeit, Gesundheitsschutz, Corporate Governance, Corporate Social Responsibility, Interne Kontrollsysteme IKS usw. Medien, Mitarbeitende und Aktionäre sehen die Führungsetage als zuständig für viele Fragestellungen, die aus der – meist berechtigten – gesellschaftlichen Diskussion in die Unternehmenswelt getragen werden. Das Modell der klaren Zuordnung von Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung löst in klassisch hierarchischen Organisationen sogleich festgelegte Prozesse aus und installiert ein Reporting mit Kennzahlen, Monitoring und Ampelstellungen. Jede Führungskraft kennt die seitenlangen Berichte, die belegen, dass die Abwesenheitstage sanken, die Frauenquote in Führungsfunktionen zunahm und der CO2-Ausstoss trotz höherer Produktion gleich blieb. Diese Reporte werden visiert, verschwinden in den Akten und versichern die Verantwortlichen auf Lebzeiten.

Doch die Komplexität der Fragestellungen – anspruchsvolle Aufgaben mit sich laufend verändernden Rahmenbedingungen – zwingt Führungskräfte heute zu neuen Ansätzen der Steuerung. So, wie sich der Lichtschalter entwickelt hat – von der simplen Ein-Aus-Funktion über den Dimmer bis hin zum selbstregulierenden Steuerelement, das auf Bewegung, Umgebung und Haustechnikanlagen reagiert –, muss die moderne Führung ihre Sensorik ausbilden, um gesellschaftliche Veränderungen in die Leitung der Unternehmen aufzunehmen. Genauso, wie dies auch bei den Anforderungen an Produkte und Dienstleistungen der Fall ist. Mit dieser gesellschaftlichen Dimension in der obersten Führung reift die Zeit für eine neue Position – die des CSO, Chief Social Officer.

Wer dies nun als Ausbau des «Wasserkopfs» wahrnimmt, der sei daran erinnert, dass viele Unternehmen heute – allerdings in Stabsfunktion – eine(n) Head Public Affairs eingestellt haben. Dieser nimmt all die gesellschaftlichen Veränderungen, politischen Zwänge und juristischen Fallstricke frühzeitig auf und delegiert diese dann an die Verantwortung des CEO. All die genannten Fragestellungen zu Umwelt, Gender, Gesundheitsschutz usw. wurden von den Unternehmen aufgrund ihrer gesellschaftlichen Bedeutung und der Diskussion um die Umsetzung aufgenommen. Dass sie heute noch als «Chefsache» gelten, zeigt, dass sie das Erwachsenenalter noch nicht erreicht haben.

Moderne Unternehmen regeln ihre Prozesse über alle verfügbaren Parameter. So muss es selbstverständlich sein, dass die «Chefsachen» in die Prozessregelung aller Unternehmensteile einfliesst und dort wertvolle Parameter der Sensorik werden. Da die Regelung in den Prozessen sowohl Abweichungen vom Sollwert als auch die Veränderungsgeschwindigkeit und die unternehmensspezifische Gewichtung aufnehmen, bleiben Korrekturen klein, sind meist schnell umsetzbar und eskalieren nicht zu Katastrophen. Welche Veränderungen braucht es dazu in der Führung? – Vertrauen in die Mitarbeitenden, Bewusstsein für die Funktion eines Unternehmens in der Gesellschaft und eine Kultur von Sensorium und Neugierde. Denn Innovation kommt vom Markt und den Kunden, die Produkte und Dienstleistungen nachfragen. Diese Kunden sind Teil der Gesellschaft, und Chefsache ist, Qualität in allen Funktionen und Hierarchiestufen zu verlangen. Weg also von Reporting und Controllinglisten für die Historie, hin zu einer Unternehmenssteuerung, die mit feinsten Sensoren funktioniert.