Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf die duale Berufsbildung

Internet of Things (IoT), Digitalisierung und Industrie 4.0 sind Schlagworte mit sehr hohem Aktualitätswert. Die Bedeutung der drei Begriffe mag im Einzelfall unterschiedlich sein, für den «Durchschnittsbürger» jedoch ist die Aussage, die dahinter steht, immer dieselbe: Rechner, Prozessoren und Maschinen drängen in Funktionen, die bis anhin von Menschen ausgeführt wurden, für deren Ausbildung in der Schweiz die Berufsbildung die Grundlagen bietet. Wie soll sich nun die duale Berufsbildung in der Schweiz diesen Herausforderungen stellen?

Bruno Sauter

21. September 2017

Technik durchdringt die Gesellschaft

Technologische Entwicklungen dienen der Wirtschaft dazu, sich zu differenzieren, Kundenanliegen besser zu erfüllen und die Produktivität zu steigern. Getrieben von Wettbewerb und Kostendruck sind Unternehmen seit je her gezwungen, Veränderungen zu erkennen und für die eigene Wertschöpfung zu adaptieren. Die Digitalisierung jedoch geht nun einen Schritt weiter. Die Menschen selbst in ihren tagtäglichen Lebenssituationen und mit ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten werden durch verfügbare Informationen und Plattformen ihr Verhalten neu justieren. Wer kennt nicht die Situation, mit einer Suchmaschine jenes Hotel ausgewählt zu haben, das optimal sowohl in der Reihenfolge der Treffer als auch mit den perfekten Attributen (Lage, WLan, Restaurant usw.) positioniert war? Oder wer wird nicht, wenn die App einmal installiert ist, den Komfort eines ausgewählten Transportdienstleisters nutzen? Und wer von uns wäre nicht froh, beim Gang zu Behörden die Vielzahl von Formularen mit immer denselben persönlichen Daten bereits ausgefüllt vorliegen zu haben? Daten sind vorhanden und können genutzt werden, Prozessoren kommunizieren direkt mit anderen Prozessoren und erstellen so Informationen und Algorithmen, die für die Menschen einen Nutzen generieren.

Berufsbilder passen sich an

Die duale Berufsbildung in der Schweiz zeichnet sich durch einen hohen Praxisbezug aus und bildet somit ein hervorragendes Fundament für den Einstieg in der Berufswelt. Das IoT und alle neuen Technologien fliessen nun aber nicht wie bis anhin in die Berufsbilder klassischer Ausprägung ein. Verschiedenste Berufe werden von den Konsumenten und der Gesellschaft vielleicht nicht mehr gebraucht oder wenn, dann in einer anderen Funktion. So werden 3D-Drucker viele mechanische Tätigkeiten obsolet machen. Die Bereitstellung der Dienstleistung «Drucken» wird jedoch neue Berufsfelder generieren. Auch werden Lastwagenfahrer bei Selfdrive-Lkws nicht mehr vorne in der Kabine sitzen. Indes werden Logistiker die Steuerung sowohl der Fahrt als auch die Organisation des Ladens und Entladens übernehmen können. Auch die Administration der Verwaltung wird die Vielzahl von Formularen nicht mehr zu erfassen brauchen, da die Daten bereits vorhanden sind. Doch werden sich die Mitarbeiter mit der Beschleunigung von Prozessen und der Entlastung von Unternehmen befassen können. Wo und wie gesellschaftliches Verhalten die Prozesse in den Unternehmen verändert, kann mit Gewissheit niemand voraussagen. Will die Berufsbildung eine drohende Job-Polarisierung verhindern und mit den disruptiven Veränderungen konstruktiv umgehen, ist vorausschauendes Denken wichtiger denn je.

Digitalisierung ist ein Tsunami, der mitreisst

Die heutigen Berufsbilder verwischen sich mit dem Einsatz von Technik, und Kompetenzen verschieben sich hin zu wie, wann und wo etwas gemacht wird. Das «Was» wird von Rechnern übernommen, und die Funktion des Menschen als Auslöser der Tätigkeit einer Maschine oder eines Rechners übernimmt der vorgelagerte Prozessor. Wertschöpfungsketten werden neu definiert und bedingen einen anderen Ansatz für den Aufbau der geforderten Kompetenzen. Kompetenz definiert sich als Wissen durch Bildung sowie Erfahrung durch Anwendung in der Praxis. Wenn nun durch die Digitalisierung die Anwendungen in der Praxis sich wie beschrieben verändern, dann gewinnt das Grundlagenwissen an Bedeutung und die Spezialisierung in der Ausführung entfällt. So werden Informations- und Kommunikationstechnologien, Sprachen und Marketing fundamentale Kenntnisse für die Märkte und Kunden von morgen sein und sollten in relevanter Breite in die Berufsbildung einfliessen. Auch bilden diese Kenntnisse die Basis für eine oft notwendige Höherqualifikation.

Die heutige Vielzahl von Berufsbildern wiederum kann in neuen, wertschöpfungsorientierten «Berufshologrammen» zusammengefasst werden. Die Berufsverbände zusammen mit den Bildungsinstitutionen tun gut daran, sich frühzeitig mit solchen Entwicklungen auseinanderzusetzen und sich dynamisch gestaltend einzubringen. Tun sie dies nicht, werden nicht bloss Berufsbilder verschwinden. Anstelle von gesellschaftlich gewünschten und gewollten Veränderungen gestalten sich ganze Wertschöpfungsketten durch die Logik von Algorithmen neu. Enstehen diese ohne Mitwirkung von kompetenten Berufsleuten, werden Chancen nicht optimal genutzt, und die Schweiz verspielt ihren Vorsprung der dualen Berufsbildung.