Mündliche Prüfungen – ein Examinator erzählt

Sind Sie in Gedanken schon bei Ihren mündlichen Prüfungen? Erfahren Sie hier die Meinungen eines langjährig erprobten Examinators zu dem Thema:

Rebecca Eichhorn

25. Juni 2021

Herr Kupfer, bei den internen Vorprüfungen prüfen Sie ja nicht nur, sondern geben auch Tipps zum Prüfungsverhalten an den Abschlussprüfungen. Welches sind die häufigsten Fehler, die Sie beobachten?

«Zuerst einmal kann das allgemeine Auftreten den Prüfungseinstieg negativ beeinflussen: Kandidierende im Freizeitlook mit Trinkflasche in der Hand signalisieren nicht, dass ihnen die Prüfung wichtig ist und dass sie ihr Bestes geben möchten. Bei der Prüfung selbst beobachte ich immer wieder, dass  Kandidierende nicht nachfragen, wenn sie eine Frage nicht verstanden haben, und nicht sagen, dass sie zum gefragten Stoff nichts beitragen können. Damit geht wertvolle Prüfungszeit verloren. Auch gibt es immer wieder Kandidierende, die Fachbegriffe verwenden, deren genaue Bedeutung ihnen gar nicht klar ist. Dabei kann man sicher sein: Hier fragt der Examinator nach. Schwierig ist es auch, wenn die Antworten unstrukturiert daherkommen und ich als Prüfender zuerst zum Bündeln und ‹Büscheln› anregen muss. Und etwas, das ich persönlich nicht sehr schätze: Wenn Kandidierende meine Fragen kommentieren, statt einfach zu antworten.»

Die Nervosität ist bei manchen Kandidierenden sehr gross: Wie reagieren Sie, wenn Sie bemerken, dass jemand so nervös ist, dass er oder sie kaum Antwort geben kann?

«Ich begegne den Kandidierenden mit noch grösserem Respekt und nehme sie sehr ernst: Wenn der Redefluss stockt, frage ich nach: ‹Möchten Sie noch etwas sagen?› Ich selbst stelle meine Frage nur angekündigt: ‹Darf ich fragen, …›. Die Kandidierenden sollen merken, dass sie die Prüfung mitbestimmen können, dass sie nicht nur Opfer sind. Wenn nötig wechsle ich zu allgemeinen Fragen und versuche so, den Einstieg zu ermöglichen. Ich frage zuerst bei Themen nach, bei denen Antworten kommen. Wichtig ist auch, den Kandidierenden zu signalisieren, dass man nicht alles wissen kann. Bei den internen Vorprüfungen gibt es im Anschluss an die mündliche Prüfung eine Rückmeldung zum Prüfungsverhalten. Ich frage dabei immer zuerst, wie sich die Kandidierenden gefühlt haben, bevor ich eine Rückmeldung gebe. Dies hilft, Ängste in späteren Prüfungssituationen abzubauen. Und wichtig ist mir auch: Ich lasse die Kandidierenden immer ausreden!»

Welchen Rat würden Sie zukünftigen Kandidierenden für mündliche Prüfungen zusätzlich mit auf den Weg geben?

«Ganz wichtig: Lernen Sie nicht bis unmittelbar vor der Prüfung! Hören Sie am Vortag damit auf, denn das Gelernte muss verarbeitet werden können. Geben Sie nie auf! Bleiben Sie die ganze Prüfung lang konzentriert, und hören Sie weiter zu, denn es kann sein, dass Sie den Faden wieder aufnehmen können. Die Prüfenden wollen wissen, was Sie können – nicht, was Sie nicht können. Brechen Sie eine Prüfung deshalb auch nie ab! Es können immer noch Fragen kommen, auf die Sie Antworten wissen.»