Revision Erbrecht (Teil 1)

Das Erbrecht wird per 1.1.2023 revidiert. Die Neuerungen haben starke Auswirkungen auf Privatpersonen. Der folgende Beitrag beschreibt die Details.

Josef Studer

3. Januar 2023

Geltendes Erbrecht

Das heute geltende Erbrecht besteht seit mehr als hundert Jahren. Es hat sich zwar bewährt, geht jedoch von einem Familienmodell aus, bei dem ein verheiratetes Paar gemeinsame Kinder hat. Die gesellschaftlichen und familiären Realitäten der Menschen haben sich in den letzten Jahrzehnten aber verändert. Heute kennt man Geschiedene in neuen Partnerschaften (aber unverheiratet), Patchworkfamilien, faktische Lebenspartnerschaften mit/ohne gemeinsame Kinder sowie alleinerziehende Mütter und Väter. Gefragt ist deshalb mehr Individualität und Flexibilität bezüglich der Erbteilung.

Das Erbrecht regelt die Verteilung des ganzen Erbes. Es bestimmt die erbberechtigten Personen und deren Anteil am Nachlassvermögen. Der Erblasser (die Person, die Vermögen vererbt) kann von diesen Regelungen mit einem Testament abweichen. Er kann bestimmen, wie sein Vermögen verteilt werden soll. Dabei ist er durch das Zivilgesetzbuch relativ stark eingeschränkt. Bestimmte Personen erhalten einen sogenannten Pflichtteil. Dieser wird berechnet als Bruchteil des gesetzlichen Erbanteils. Somit kann man nur über einen Teil seines Vermögens frei verfügen (sog. freie Quote).

Revision des Erbrechts

Das Erbrecht wird zurzeit und in Etappen revidiert. Aktueller Hauptpunkt ist die Änderung der Pflichtteile: Der Pflichtteil der Eltern wird ersatzlos abgeschafft, und die Pflichtteile für den Ehegatten und die Nachkommen betragen neu (nur noch) die Hälfte des gesetzlichen Erbanteils.

Die Regelungen im bisherigen und im neuen Recht sind in der folgenden Tabelle dargestellt:

 

Erben

Pflichtteil bisheriges Recht  

Pflichtteil neues Recht

Nachkommen

3/4 des gesetzlichen Erbanteils ½ des gesetzlichen Erbanteils

(Ehe-)Partner

½ des gesetzlichen Erbanteils ½ des gesetzlichen Erbanteils

Eltern

½ des gesetzlichen Erbanteils kein Pflichtteil mehr

Beispiel: Die Erblasserin ist verheiratet und hat Kinder. Der gesetzliche Erbanteil des überlebenden Ehepartners beträgt die Hälfte, die Kinder erhalten gemeinsam die andere Hälfte. Die Pflichtteile waren bisher ¼ des gesetzlichen Erbanteils für den Ehegatten und 3/8 für die Kinder, die freie Quote war 3/8. Neu sind die Pflichtteile je ¼, und die freie Quote beträgt 1/2.

Konkubinat

Zu beachten ist noch das Konkubinat. Wie bisher haben Konkubinatspartner des Erblassers und deren Kinder kein gesetzliches Erbrecht. Auch dann nicht, wenn sie alle als Familie zusammenleben. Nur gemeinsame Kinder können erben. Stirbt z. B. ein kinderloser Konkubinatspartner, erben seine Blutsverwandten. Seine soziale Familie (also die Lebenspartnerin und deren Kinder) erben hingegen nichts. Dieser Nachteil kann durch Zuweisung der vergrösserten freien Quote an diese Personen ausgeglichen werden.

Konsequenzen der höheren freien Quote

Die freie Quote ist nur dann von Bedeutung, wenn jemand von der gesetzlichen Erbfolge abweichen möchte. Der nicht durch Pflichtteile blockierte Teil des Vermögens kann dann durch Testament an bestimmte Personen vermacht werden. Durch ein solches Vermächtnis werden diese begünstigt. Zu denken ist z. B. an den überlebenden Ehegatten. Dies spielt v. a. dann eine Rolle, wenn Immobilien vorhanden sind und deren Finanzierung ohne die Begünstigung gefährdet ist. Zudem können der Konkubinatspartner, in Patchworkfamilien der Lebenspartner, die Kinder des Lebenspartners oder Stiefkinder berücksichtigt werden – oder nur einzelne dieser Personen. Auch das Vererben eines Unternehmens (Unternehmensnachfolge) wird damit erleichtert. Weitere Änderungen in diesem Bereich sind geplant.

In einem zweiten Teil wird auf weitere Gesetzesänderungen eingegangen.