Lust auf etwas weniger Regulierung?

Isolationen an Gebäuden – reguliert. Verkauf von Medikamenten – reguliert. Risikosportarten – reguliert. Die Liste regulierter oder staatlich zumindest stark bevormundeter Bereiche, Produkte und Dienstleistungen ist lang und wird täglich länger. Jahr für Jahr überfluten uns neue Gesetze, Verordnungen und Bundesbeschlüsse auf gegen 7000 Seiten, die einen massiven Einfluss auf unser Leben und insbesondere unsere Wirtschaft haben. Was sind Treiber der Regulierungen, wem nützt und wem schaden sie? Wie könnte die Maschinerie in einen kleineren Gang geschaltet werden, und wer stünde sinnvollerweise auf die Bremse?

Bruno Sauter

7. April 2016

Deregulierung und die Entlastung von KMUs stehen nicht erst seit der Erstarkung des Schweizer Frankens ganz oben auf der Traktandenliste zahlreicher Politikerinnen und Politiker. Betrachten wir jedoch die «Wertschöpfungskette» einer Regulierung, erkennen wir schnell, dass dem Wunsch nach geringerer Gesetzesdichte eine ganze Reihe von Anspruchsgruppen, sogenannten Stakeholdern, gegenübersteht. Beginnend mit Juristen, die sich in Verwaltung, Verbänden oder auf Mandatsbasis mit dem Inhalt einer Regulierung auseinandersetzen und kaum eine Lücke offenlassen, die ihnen als mögliches Zeichen unsachgemässer oder gar inkompetenter Ausfertigung vorgeworfen werden könnte. Ein Beispiel dafür ist das neue Lebensmittelgesetz mit 30 Seiten und geschätzten Folgekosten für Bund und Kantone in der Höhe von einmalig 5 Mio. Franken und jährlich wiederholend 18 Mio., für die Unternehmen einmalig 270 Mio. und jährlich wiederholend 46 Mio. Sodann stehen all jene Institute in der Reihe, die sich im Rahmen von Aus- und Weiterbildungen ihren Teil des Kuchens abschneiden wollen (in der Schweiz gibt es beispielsweise über 5000 Fahrlehrer). Weiter geht der Reigen in den Verwaltungen von Bund, Kantonen und Gemeinden. Welche Verwaltungseinheit will sich schon dem Vorwurf aussetzen, ein Detail nicht korrekt genug beschrieben oder eine Information nicht gleich eingefordert zu haben?

Im schweizerischen Staatsverständnis ist es zudem nicht etwa so, dass die Kontrolle der Vorgaben und das Einhalten der Vorschriften allein Aufgabe des Staats wäre. Vielmehr werden z. B. bereits im Rahmen von Baugesuchen in vielen Gemeinden private Ingenieurbüros beauftragt, die Papiere zu prüfen, und auch die Vermessung des erstellten Baus übernimmt ein privater Geometer. Bei den Lohnkontrollen im Rahmen des Gesamtarbeitsvertrags für das Bauhauptgewerbe übernimmt auch nicht der Staat die Wächterfunktion, sondern die private Paritätische Berufskommission, die zum Teil mit Steuergeldern finanziert ist und auch gleich Bussen verhängen kann.

Nebst den zahlreichen Akteuren kommt noch ein weiterer wichtiger Aspekt hinzu. Im ganzen Bereich des schweizerischen Binnenmarkts, überall dort, wo die Konsumenten (vermeintlich) nicht ausweichen können, registriert aufgrund des nicht wirklich freien Wettbewerbs lange Zeit keiner die Kostenfolgen einer Regulierung. Während im Tourismus die deutschen Gäste für ihren Skiurlaub zwischen Österreich, Italien, Frankreich, Kanada und eben der Schweiz wählen und sich für das günstigste Angebot entscheiden können, ist der Schweizer Eigenheimbauer auf die Erstellung seines Hauses hier vor Ort angewiesen. Kartelle und Regulierungen bestimmen den Preis und somit das Angebot. Neue Technologien (Internethandel CH im Jahr 2014 ca. 7 Mrd. Franken) oder abstruse Preisdifferenzen (Auslandshopping der Schweizer 2015 über 11 Mrd. Franken) lassen die Konsumenten jedoch immer häufiger ausweichen. Während exportorientierte Unternehmen auf ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit achten müssen, können sogenannt geschützte Binnenmarktbranchen mit geschicktem Regulieren zusätzliche Gewinnmargen einstreichen. Die Interessenslagen sind bei Regulierungen somit durchaus unterschiedlich und mitnichten einfach überschaubar. So muss der Staat vorausschauend stets beide Seiten gleichberechtigt berücksichtigen und z. B. in der Landwirtschaft höhere Anforderungen an die Produzenten in den regulatorischen Schutz einbauen oder im Gesundheitswesen strengere Zulassungsbedingungen für Ärzte mit Einschränkungen des Markts korrigieren. Bedingung ist jedoch, dass die Politik allfällige Mehrkosten und -preise transparent macht und auch ausführt, wer zu bezahlen hat.

Mit dem Instrument der gesetzlichen Entlastung sind sowohl der Bund als auch die Kantone (z. B. Zürich) gescheitert, und die von der Wirtschaft erwarteten Vereinfachungen für KMUs lassen sich kaum erreichen. Zu viele Eigeninteressen beeinflussen heute die vorgesehene Regulierungsfolgenabschätzung, da diese von den direkt betroffenen Behörden selbst durchgeführt wird. Und auch die im internationalen Umfeld geschaffenen Gremien von «Regulierungswächtern» vermitteln eher den Eindruck zahnloser Papiertiger und administrieren primär. Was es bräuchte, ist die unvoreingenommen positive Haltung zu Kosten und zu einer einfachen ökonomischen Wahrheit. Jede Regulierung (auch die sozialpartnerschaftliche) produziert Kosten, die von Konsumenten oder Kunden bezahlt werden müssen. Überall dort, wo die Regulierungskostenschätzung im Vergleich mit den wichtigsten Industriestaaten einen bestimmten Wert übersteigt, muss der Gesetzgeber automatisch eine finanzielle Entlastung im Gesetz einbauen oder aber das Gesetz obligatorisch einem Referendum unterziehen. Dies gilt auch für sozialpartnerschaftliche Abmachungen, die allgemein gültig erklärt werden. Dieses Instrument könnte – analog der Schuldenbremse, die über einen bestimmten Zeitraum einen Ausgleich im Budget schaffen will – für die Bürger Transparenz schaffen und sie demokratisch entscheiden lassen, welchen Mehrpreis sie für Produkte und Dienstleistungen zu zahlen bereit sind. Noch weiter ginge die Idee, sowohl Gesetze als auch Verordnungen einer Ausschreibepflicht zu unterziehen. Nebst der Eignung von möglichen «Anbietern» wäre im Rahmen des Zuschlags zu einem bestimmten Entwurf die ökonomische Dimension mit mindestens 50 Prozent zu bewerten.

Zudem hat Regulierung etwas mit Kultur zu tun. Es bedeutet Freiheit, zu akzeptieren, dass nicht alles und jedes bis zur 13. Kommastelle und auch für den Fall eines einmaligen Eintretens in tausend Jahren geregelt werden kann, ohne einen astronomischen Preis für die vermeintliche zusätzliche Sicherheit zu bezahlen. Der Gesetzgeber – Legislative sowie Exekutive mit Verwaltung – muss sich vermehrt wieder mit der ökonomischen Realität von Regulierung auseinandersetzen, zum einen austarieren, wie detailliert ein Gesetz oder die zugehörige Verordnung sein muss, und zum anderen der rein privat motivierten Kartellbildung gezielt entgegentreten. Unsere Mentalität im Gesetzgebungsprozess darf die unternehmerische Freiheit mit Stolz hochhalten und die Selbstverantwortung (Art. 6 BV) wieder etwas mehr ins Zentrum rücken.