Wissenstransfer macht beide Seiten klüger

KV, Berufsmatura, Passerelle, ein Biologiestudium an der ETH und nun ein Psychologiestudium mit Anglistik als Nebenfach an der Uni Zürich. Mina Motadel blickt mittlerweile auf eine beachtliche
Lernlaufbahn. Dadurch bzw. durch das Peer Learning entdeckte sie zudem ihr Talent für Nachhilfeunterricht.

6. Juni 2019

Unbewusst und intuitiv. So begannen Mina Motadel und ihre Kolleginnen vor der Lehrabschlussprüfung, sich gegenseitig beim Lernen zu unterstützen. Interessanterweise aber nicht in Fächern wie Buchhaltung und Rechnungswesen. «Wir stellten einfach fest, dass es fünf vor zwölf war. Um ungeliebte Fächer wie Marketing, Volkswirtschaftslehre und Rechnungswesen machten wir allerdings einen grossen Bogen. Daher konzentrierten wir uns auf Englisch und Deutsch, was wir als einfachere Kost erachteten.» Gegenseitig Vokabeln abfragen, die Texte der anderen durchlesen; mit Pragmatismus setzten die damaligen Teenager den Hebel effizient an. Offenbar mit Erfolg. Mina Motadel erinnert sich: «Unsere Devise lautete ‹durchkommen›. Die Ambition, eine Prüfung gut zu bestehen, wuchs erst später in mir.»

Garantierte Wissensrendite

Später, in ihrer Berufsmaturaklasse, wollte der mathematische Funke bei den meisten Studierenden nicht springen. Da spannte der Lehrer Mina Motadel ein: «Du hast den Stoff verstanden. Versuch doch du einmal, es der Klasse zu erklären. Vielleicht klappt es so.» Die Erfolgserlebnisse bei Kolleginnen und Kollegen hatten einen schönen Nebeneffekt: Schon bald erhielt Mina Motadel Anfragen für Nachhilfeunterricht. Was das Peer Learning angeht, meint sie: «Es spielt an sich keine Rolle, ob man mehr oder weniger als seine Peers weiss. Interessant ist, dass es auf jeden Fall eine Wissensrendite gibt.» Wer einer anderen Person mit eigenen Worten Gelerntes näherbringt, reflektiert den Inhalt erneut. Kann das Gegenüber nicht folgen, stellt sich die Frage, ob man die Materie wirklich à fond durchdrungen hat oder ob eventuell noch Lücken bestehen. Wissenstransfer macht beide Seiten klüger.

Von Stufe zu Stufe anspruchsvoller

Gibt es Grenzen beim selbst initiierten, sprich nicht von Dozierenden angeleiteten Peer Learning? Durchaus, erläutert Mina Motadel: «An der ETH sind Tempo und Druck bekanntlich hoch. Vor den Prüfungen im ersten Jahr bildeten wir eine achtköpfige Lerngruppe. Unser Ansatz war im Gegensatz zu meinen ersten Gehversuchen beim KV systematisch und geplant. Wir vereinbarten, dass alle bis zum ersten Termin bestimmte Teile der Lehrbücher gelesen haben mussten, um dann gemeinsam die Knacknüsse zu besprechen.» Doch dies scheiterte. Die Gründe dafür? Einerseits erwies sich das Niveau der Gruppenmitglieder als zu unterschiedlich. Andererseits hatten nicht alle ihren Lektüreauftrag wahrgenommen – Peer Learning erfordert gegenseitigen Verlass. Nicht umsonst haben sich daher auch an der ETH Tutorate bewährt: Studierende in höheren Semestern begleiten als angestellte Hilfskräfte jüngere beim Lernen. Gut hingegen fährt Mina Motadel gegenwärtig mit «klassischem» Peer Learning im Nebenfach Anglistik: «Wir müssen regelmässig wissenschaftliche Aufsätze verfassen. Sich nebst dem sprachlichen Feinschliff Feedback zur stringenten Gedankenführung zu geben, ist sehr bereichernd.»