Eine Entdeckungsreise für Lernende und Lehrende

Melanie Fröhlich befasst sich an der Universität Bielefeld aus akademischer Sicht mit kooperativen Lernformen. KAKADU lotete mit ihr aus, warum Peers keine Verlegenheitslösungen, sondern oft die besseren und passenderen Lehrenden sind.

6. Juni 2019

Mit Englisch hatte Melanie Fröhlich im Gymnasium wenig am Hut. Doch eine Sequenz aus Macbeth mit den drei Hexen hat sie bis heute präsent. An sich – in den 1990er-Jahren waren kooperative Lernformen noch kaum verbreitet – sollten sie und ihre Kollegin jene Textpassage aus Shakespeares Drama nur auswendig lernen. Die Not der Langeweile machte beide erfinderisch. Sie spielten die Szene geschickt mit verstellten Stimmen nach und nahmen das Ganze auf Tonband auf – selbst ein passender Soundtrack mit Klängen von Vivaldi fehlte am Schluss nicht. «Wir waren richtig im Flow», erinnert sich die heutige Hochschuldidaktikerin.

Bewertungsfreie Räume schaffen

Zwei Studierende fragen sich gegenseitig Vokabeln ab. Ist dieser Klassiker schon Peer Learning? Wo liegt die Schwelle, ab der von «qualifiziertem» Peer Learning die Rede sein kann? Gewiss lernt man beim erwähnten Beispiel formal und informell mit- und voneinander, und zwar hierarchiefrei, das heisst nicht in einem Verhältnis von Experte und Laie. Dies ist wichtig, denn dadurch öffnet sich ein bewertungsfreier Raum; ein Raum ohne Druck bzw. latente Ängste vor einer Lehrperson, die die Augenbrauen zum Beispiel wegen der Aussprache in die Höhe ziehen könnte. Melanie Fröhlich ergänzt: «Interessant ist, wenn die Peers einen stumpfen Abfragemechanismus überwinden und sich methodisch überlegen, wie sie sich die Begriffe auch durch Eselsbrücken besonders gut einprägen können.» Das Potenzial von Peer Learning wächst, wenn nebst der Reflexion eine metakognitive Betrachtung der jeweils gewählten Lernprozesse stattfindet.

Divergenz und Konvergenz

Think, Pair, Share – im Grundsatz folgt Peer Learning fach- und stufenunabhängig dem gleichen Muster. Je weiter fortgeschritten die Lernenden sind, umso offener können meist auch Arbeitsauftrag und die mögliche Form der Ergebnispräsentation sein. Auf Masterniveau verfügen Studierende über ein entsprechendes Repertoire, das Grundschüler so noch nicht besitzen. Das Lernthema selbst setzt allerdings auch Leitplanken für geeignete Formen von Peer Learning. Mit Blick auf die Trennlinie zwischen Geistes- und Naturwissenschaften betont Melanie Fröhlich: «Bei Ansichten zu einem literarischen Text geht es eher darum, im gemeinsamen Austausch divergierende Betrachtungsweisen zu erkennen und den Horizont zu erweitern. Bei der Erklärung physikalischer Phänomene steht aber die über die Reflexion zu erreichende Konvergenz der Betrachtungsweisen im Vordergrund.» Hier verfolgt Eric Mazur, Physikprofessor in Harvard, einen spannenden Ansatz: Peer Instruction. Er lässt Studierende zunächst für sich Multiple-Choice-Fragen zu einem Phänomen beantworten. Danach folgt die Diskussion mit dem Sitznachbarn. Der Effekt: Logische Unzulänglichkeiten springen schneller ins Auge, wenn sich Gruppenmitglieder ihre Lösungsansätze wechselseitig erklären. Studierende erfahren zudem, dass sie gemeinsam erfolgreicher sind als allein.

Freude am Ausprobieren

Wer als Lehrperson kooperative Arbeitsaufträge gestaltet, bringt vorzugsweise Freude am Ausprobieren mit. Wenn Studierenden transparent dargelegt wird, dass bei einem «Erstling» vielleicht nicht alles auf Anhieb perfekt klappt, ist der Goodwill während der gemeinsamen Entdeckungsreisen garantiert. «Nichts tun, wovon man selbst nicht überzeugt ist» lautet eine wichtige Devise von Melanie Fröhlich. Einstellung und Haltung sind entscheidend für den Erfolg. Hat sie selbst einen Favoriten unter den vielen Peer-Learning-Varianten? «Persönlich arbeite ich gerne mit Peer Facilitated Learning – sogenannten Gruppendrehbüchern.» Eine Schlüsselrolle besetzt hier jeweils der Facilitator der Gruppe. Er oder sie nimmt den Auftrag entgegen, moderiert die Diskussion und sorgt für ein zielorientiertes Arbeiten.