Coachen oder führen? – Vorsicht Konfusionsgefahr

Coaching ist das neue Zauberwort der Führungskräfte. Doch sollen diese ihre Mitarbeitenden coachen? Eine Klärung der Begriffe beantwortet die Frage.

Ingrid Katharina Geiger

26. Juli 2019

Coaching soll helfen, wenn der eigene Führungsstil – egal ob patriarchal oder kooperativ – nicht die erwünschte Wirkung bringt. Coaching gilt heute bei vielen Führungskräften als das Wundermittel, das die Zusammenarbeit bei zunehmender Vielfalt und Individualität auf der Mitarbeiterebene fördert. Zudem sollen mittels Coaching die Motivation und Leistung sowie die Bindung der Mitarbeitenden gestärkt werden. Doch ist Coaching durch Führungskräfte hier das richtige Mittel? Dafür muss zuerst geklärt werden, was Coaching ist.

Was ist Coaching?

Coaching ist ein vielschichtiges Beratungsformat. Im Mittelpunkt stehen die Person und ihre Anliegen im beruflichen und privaten Zusammenhang. Coaching soll helfen, Perspektiven zu erschliessen und die Handlungskompetenz in schwierigen Situationen zu fördern.

Rollenkonfusion vorprogrammiert

Führungskräfte, die den Anspruch haben, ihre Mitarbeitenden zu «coachen», riskieren eine Rollenkonfusion. Betrachten wir wesentliche Unterschiede zwischen Führen und Coachen:

Führen Coachen
Beziehung und Macht Zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden besteht ein hierarchisches Abhängigkeitsverhältnis. Die Führungskraft hat formal eine Machtposition inne, die mit einem Weisungsrecht verbunden ist. Coaching ist freiwillig. Die Beteiligten bewegen sich auf gleicher Augenhöhe. Coaching kann jederzeit – ohne sichtbare Konsequenzen – beendet werden. Im Coaching wird auf konkrete Ratschläge oder Anweisungen bewusst verzichtet.
Ziel Führen ist interessengeleitet – es geht darum, bestimmte Unternehmensziele zu erreichen. Coaching ist neutral. Im Rahmen von Coaching soll Hilfe zur Selbsthilfe (Selbstverantwortung) geleistet werden für einen besseren Umgang mit beruflichen und ggf. privaten Herausforderungen.
Aufgaben Eine Führungskraft übernimmt Fremdverantwortung. Zu den Führungsaufgaben gehören Kontrolle der Zielerreichung (Ist/Soll), Mitarbeiterbewertung und Entscheidungen zur Förderung der Zielerreichung. Coaches unterstützen ressourcenorientiert die Entwicklung von Lösungsmöglichkeiten, verhalten sich aber neutral. Sie treffen die Entscheidung für oder gegen eine Lösung.

Beansprucht eine Führungskraft, die Mitarbeitenden zu «coachen», dann ist eine riskante Überschreitung der Rollen und der Zusammenhänge nicht auszuschliessen. Denken Sie beispielsweise an Fragen zur familiären Situation oder an schwelende Konflikte zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden.

Was Führungskräfte, die «coachen» wollen, tun können

  • Eine offene, wertschätzende und fragende Haltung in der Kommunikation mit Mitarbeitenden pflegen und glaubwürdig versichern, dass heikle Einsichten diskret behandelt werden.
  • Grenzen zwischen Führen und Coachen beachten bzw. einen klaren Rahmen für Gespräche schaffen (z. B.: «Ich bin deine Vorgesetzte, ich empfehle dir, dieses Thema im Rahmen einer professionellen Beratung zu bearbeiten»).
  • Abhängigkeit des Mitarbeitenden nicht ignorieren (z. B. kann ein Coach im Unterschied zum Vorgesetzten fragen: «Haben Sie schon einmal überlegt, den Arbeitgeber zu wechseln?»)

Fazit

Führungskräfte sollten ihre Grenzen kennen und im Zweifelsfall das Coaching von Mitarbeitenden angemessen ausgebildeten Beratenden überlassen. Mehr noch: Führungskräfte, die Schwierigkeiten mit ihrer Rolle als Führungskraft haben, können selbst im Rahmen eines Coaching ihre Führungsarbeit reflektieren und verändern.