Megatrend Gender Shift

Die zunehmende Auflösung von traditionellen Geschlechterrollen bringt grosse Umwälzungen im Privat- und Geschäftsleben und für Frauen und Männer gleichermassen neue Chancen.

Christophe Lienert

14. Februar 2023

Bedeutung und Einordnung

Sowohl in der Familie wie auch im Arbeitsleben legen immer mehr Menschen tradierte Geschlechterrollen ab. Was heute immer deutlicher wird, läuft bereits seit Jahrzehnten: waren es die Frauen, die für einen «Female Shift» und ein moderneres Rollenverständnis der Frauen sorgten, sind es heute jedoch vorallem auch die Männer, die ins Blickfeld kommen und selbst Veränderungen wollen. Daher spricht man heute allgemeiner von einem «Gender Shift». Hinzu kommt, dass die jüngere Generation unter 30 Geschlecht zunehmend weniger eng sieht. Die Generation unter 60 lebt heute viel häufiger in Haushalten, in denen beide Partner Einkommen erzielen und nicht mehr nur (wie früher) der Mann. Die sozialen Rollen von Mann und Frau ändern sich und somit also auch die Strukturen. Mütter kehren rascher ins Arbeitsleben zurück, während Väter häufiger Teilzeit arbeiten und sich ebenfalls um den Nachwuchs kümmern. Für beide Geschlechter ergeben sich neue Perspektiven der Lebensgestaltung. Der Wandel der Geschlechterrollen und die damit einhergehende Abkehr von klassischen Geschlechterstereotypen verändern zunehmend die gesellschaftliche Wahrnehmung von den früher bekannten männlichen und weiblichen Rollen.

Konsequenzen in der Arbeitswelt

Der Gender Shift beeinflusst die Arbeitswelt und die Arbeitsbedingungen. Die Balance, die jüngere Mitarbeitende zwischen Beruf und Familie suchen, fordert die ältere Managergeneration und die Personalabteilungen heraus: Seit Langem werden mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten und -orten gefordert, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Diversität am Arbeitsplatz, Chancengleichheit und Abbau von Diskriminierungen. Das bedeutet aber auch, dass es mehr neue Möglichkeiten für die Kinderbetreuung geben muss und Angebote wie Homeoffice oder Vertrauensarbeitszeit selbstverständlich werden müssen.

Unternehmen müssen sich auch anders auf ihre Kundschaft und Märkte ausrichten. Waren früher Frauen und Männer zwei unterschiedliche Zielgruppen, verliert diese Unterscheidung an Aussagekraft bzw. wird vermehrt falsch verstanden oder als irritierend empfunden. Was früher typisch männlich war, zum Beispiel Lehrstellen für handwerkliche Berufe, interessiert heute auch Frauen. Und Yoga ist schon lange nicht mehr nur für Frauen gut und gesund. Unternehmen bieten heute Produkte und Dienstleistungen an, bei denen nicht das Geschlecht, sondern das Individuum im Mittelpunkt steht. Der sogenannte ungendered lifestyle scheint gekommen sein, um zu bleiben. Studien zeigen, dass fast 80% der 13- bis 20-Jährigen überzeugt sind, dass das Geschlecht eine Person nicht mehr so stark definiert wie früher. Daraus folgern Soziologen und Sozialwissenschaftler, dass nunmehr eine Generation nachrückt, die nicht mehr oder viel weniger in einem binären Geschlechtermodell denkt, handelt und konsumiert.

Gegenbewegungen zum Gender Shift

Wie bei allen Trends gibt es auch beim Gender Shift Gegentrends und Gegenbewegungen. So halten auf politischer Ebene konservative Parteien mit ihren Programmen und Agenden die klassische Geschlechterordnung und heterosexuelle Orientierung als die natürliche Lebensform hoch und bekämpfen Gender- oder feministische Anliegen.

Traditionelle Rollenaufteilungen werden in der Gesellschaft aber auch weiterhin gelebt und beibehalten, weil sie Orientierung und Stabilität bieten können.

Als Erschwernis für den Gender Shift kann auch der weiterhin bestehende und teils grosse geschlechtsbedingte Gehaltsunterschied genannt werden. Die in vielen Branchen üblichen Lohnunterschiede, aber auch die Unterschiede zwischen sogenannt typischen Frauenberufen wie die Pflege und typischen Männerberufen wie Ingenieurwesen, führen immer noch dazu, dass sich junge Familien dafür entscheiden, dass ein Elternteil, in den meisten Fällen der Mann, Vollzeit arbeitet und der andere, meist eben die Frau, mindestens bis zu einem gewissen Alter der Kinder die Haushaltsarbeit übernimmt.