Wer kontrolliert Verwaltungsratspräsidenten?

Die Meldungen vom Justizverfahren gegen die Verantwortlichen im Fall Raiffeisen und die öffentliche Debatte über die Verantwortung der strategischen Führung erwecken den Eindruck von systematischem Versagen. So sind die abgerechneten Spesen des CEO im Milieubereich nicht bloss ein Kavaliersdelikt, sondern sie lassen sich real nicht mit geschäftlichen Interessen begründen. Ebenfalls sind die bekannt gewordenen Kostenexzesse im Hotel- und Getränkebereich nicht imagefördernd für ein Unternehmen. Die fehlende Governance bei der Kontrolle in Kombination mit einer organisatorischen Externalisierung entspricht keiner «best practice».

Bruno Sauter

10. Juni 2021

Normative und kulturelle Vorgaben

Verwaltungsräte sind in einer Firma ein offizielles Organ, genauso wie dies die Generalversammlung und auch die Revisionsstelle sind. Sie werden gewählt und verfügen aufgrund ihrer normativen Aufgaben und den gesetzlich vorgesehenen sowie den zugesprochenen Kompetenzen über eine kulturelle Verantwortung. Diese Verantwortung in Kombination mit einer Vorbildfunktion ist eine kulturelle Ausprägung, welche an konkreten Beispielen im Leitbild oder einem «Mission Statement» eindeutig vorgegeben werden kann. Die Mentalität, übermässige Spesen zu generieren, lässt sich zudem trefflich mit konkreten Vorgaben auch in einem Spesenreglement verhindern. In internen Reglementen (Corporate Governance) lassen sich konkrete Vorgaben sodann auch für den Verwaltungsrat formulieren.

Seilschaften und deren Tücken

Dem Unternehmenszweck dienliche Freundschaften finden sich in jedem Verwaltungsrat und sind keinesfalls zu kritisieren. Denn das gegenseitige Vertrauen beeinflusst nicht bloss die Prozesse und die Kommunikation positiv, es kann bei verschiedensten Fragestellungen auch die Entscheidungsgeschwindigkeit erhöhen und so den Erfolg garantieren. Doch gerade bei bestehenden Seilschaften soll und muss der Selektionsprozess – im Bewusstsein dieser Freundschaftskomponente – transparent, nachvollziehbar und objektiv sein. Das alleinige Vertrauen auf Freundschaften und Familienbande ist ein schlechter Berater für dynamische Gesellschaften in fordernden Zeiten. Die für einen Verwaltungsrat notwendigen Kompetenzen verändern sich, sollen sich in allen Dimensionen sinnvoll ergänzen und müssen kritisches Hinterfragen fördern.

Kontrolle heisst auch Vertrauen

Die Funktion eines Präsidenten, einer Präsidentin des Verwaltungsrats bedeutet nebst einer erhöhten Kompetenzfülle auch eine stark erhöhte Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, den Mitarbeitenden und dem Verwaltungsrat. Eine solche Bürde trägt sich viel leichter, wenn im Rahmen von Kontrollen das 4-Augen-Prinzip auch für den eigenen Tätigkeitsbereich Gültigkeit hat. Eine formulierte Governance zwingt auch den Verwaltungsrat, die entsprechenden Richtlinien einzuhalten. Eine Kontrolle und die Abwicklung von Löhnen und Spesen müssen in einem vertrauensvollen Umfeld auch für die Geschäftsleitung und den Verwaltungsrat nicht externalisiert werden. Vielmehr kann mit der Zuteilung von Aufgaben und Kontrollfunktionen – analog den diversen Ausschüssen – auch die Kontrolle des Präsidenten intern geregelt und den eigenen Mitarbeitenden Vertrauen geschenkt werden.